Bilanzpolitik ist unternehmerische Informationspolitik und stellt ein legales Instrument dar. In der Bilanzanalyse können Sie Hinweise auf Bilanzpolitik erkennen, wenn Sie wissen, worauf Sie achten müssen.
Unter Bilanzpolitik (Jahresabschlusspolitik, Bilanzkosmetik) versteht man das Ergreifen von legalen Maßnahmen, die Auswirkungen auf das Ergebnis des Jahresabschlusses haben.
Bilanzpolitik ist Informationspolitik zur Veranlassung der Bilanzadressaten zu einem Verhalten, das den Zielen derjenigen entspricht, die Bilanzpolitik betreiben. Bilanzpolitik umfasst alle Maßnahmen zur Gestaltung der Vermögens-, Ertrags-, Finanz- und Risikolage im handels- und steuerrechtlichen Abschluss durch Darstellungen von Sachverhalten einerseits und die Ausnützung von Bilanz- und Bewertungswahlrechten andererseits.
Bilanzpolitik ist ein legales, facettenreiches, unternehmenspolitisches Instrument, das nur zum Teil erkennbar ist. Hinweise geben vor allem die Begründung für oder gegen bestimmte Bilanzierungs- und Bewertungsmethoden im Erläuterungsbericht bzw. im Anhang. Hingegen sind Ermessensspielräume weniger offenkundig und auch Gewinnglättung ist schwer auszumachen.
Bilanzanalyse: Erkennen bilanzpolitischer Maßnahmen
Zur Erkennung bilanzpolitischer Maßnahmen sollten Leser die folgenden sechs Möglichkeiten bzw. Analysefelder kennen:
1. Gewinnqualität
Für die Plausibilisierung der ausgewiesenen Erfolge dienen erstens Cashflow-bezogene Kennzahlen. Langfristig müssten sich Zahlungen (Cashflows) und buchhalterische Aufwendungen und Erträge decken, kurzfristig kann es aber große Unterschiede geben.
Cashflows haben für Bilanzanalysten den Vorteil, dass sie vergleichsweise wenig durch bilanzpolitische Gestaltungsmöglichkeiten beeinflussbar sind. Somit bietet es sich an, die stärker beeinflussbaren Aufwendungen und Erträge den Cashflows gegenüberzustellen: Gewinnqualität = Cashflow aus laufender Geschäftstätigkeit/Ergebnis lt. GuV.
Je stärker Zähler und Nenner auseinandergehen, umso stärker wirken sich Bilanzierungs- und Bewertungsmethoden, die von der Geschäftsführung meist gezielt genutzt werden, auf die Darstellung des Ergebnisses aus.
Der offensichtlichste Indikator für eine bewusst gestaltete bzw. sogar manipulierte Finanzberichterstattung wäre, wenn negative Cashflows aus laufender Geschäftstätigkeit wachsenden Gewinnen gegenüberstünden.
2. Stille Reserven
Die Bildung und Auflösung stiller Reserven ist ein zweiter Ansatzpunkt. Das konsequent verfolgte Ziel der Minimierung des auszuweisenden Erfolgs wird zu steigenden stillen Reserven führen – und umgekehrt. Von dieser Idee lebt das sog „Cookie-Jar-Accounting“ („Keksdosen-Rechnungslegung“). Dies bezeichnet das Verhalten, sich durch ein bewusstes Schlechtrechnen (z.B. durch großzügiges Generieren von Rückstellungen in „guten“ Zeiten) Reserven bzw. das Potenzial für mögliche Auflösungen der zu hohen Rückstellungen in „schlechten“ Jahren zu schaffen.
Mithilfe der Market-to-Book-Ratio (Kurs-Buchwert-Verhältnis) kann analysiert werden, ob stille Reserven gebildet wurden: Market-to-Book-Ratio = Unternehmenswert/Buchwert des Eigenkapitals.
3. Rückstellungsanalyse
Bewährt hat sich zudem die Analyse der sonstigen Rückstellungen und ihrer Entwicklung. Größere Fehleinschätzungen von bevorstehenden Risiken und die folgende Auflösung von Rückstellungen, die aufgrund eines zu starken Pessimismus gebildet wurden, sind ein guter Indikator für bilanzpolitische Gestaltung.
4. Sonstige betriebliche Erträge
Dasselbe gilt für die Analyse der sonstigen betrieblichen Erträge, wo sich z.B. Erträge aus dem Abgang von Anlagevermögen oder aus der Herabsetzung von Einzel- oder Pauschalwertberichtigungen finden; Sachverhalte also, die nicht typisch für die laufende Geschäftstätigkeit sind.
5. Trends analysieren
Je mehr vergleichbare Informationen aus Jahresabschlüssen und je mehr Jahresabschlüsse verschiedener Wirtschaftsjahre für die Analyse zur Verfügung stehen, umso besser, weil umso verlässlicher die Bilanzierungspolitik beurteilt werden kann.
6. Qualitative Bilanzanalyse
Sechstens ist auch die sog. qualitative Bilanzanalyse ein wichtiger Ansatzpunkt. Diese versteht sich als Erweiterung der traditionellen, (nur) an Finanz-(kenn-)zahlen orientierten Bilanzanalyse und versucht, verbale Informationen in Anhang und Lagebericht auszuwerten, um Ansatzpunkte bzw. Motive für bilanzpolitische Gestaltungen zu finden. Dies ist besonders in Verbindung mit Pkt. 5 „Trends analysieren“ sinnvoll.
Autor: Dr. Helmut Siller, WEKA (CVA)
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